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DER NEUE HEUTIGE

Forum für kritisch-künstlerisches Denken

Ausgabe 2006

Als Scheinheilige durch die Welt zu gehen ist ein Verbrechen. /red2006

"Der Tod kommt auf leisen Sohlen." /red2006

Der Neue Heutige wird dieses Jahr ein Thema aufgreifen, das jedem irgendwann mal nahe kommt: Der Umgang mit dem Tod.

Editorial

Es ist kein leichtes, Gewohnheiten abzulegen.

"Was das neue Jahr wohl mit sich bringt?" - frage ich mich und wage einen allgemeinen Blick in die Zukunft, ohne Prognosen zu stellen. An gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen im grossen Stil ist kaum zu denken, denn der Mensch ist selbst ein Geschöpf, das sich an Gewohnheiten bindet, also alles erdenkliche unternimmt, Fehler nicht einzugestehen und an allem festhält, das im Grunde so gar nicht gerechtfertigt wäre. Beispielhaft ist das Phänomen New Orleans: Diese Stadt hat kein Fundament, auf das man aufbauen könnte, das Risiko, dass diese Stadt erneut verwüstet werden wird, ist enorm. Trotzdem ist die Regierung, und natürlich auch die Bevölkerung überzeugt, dass der Wiederaufbau die einzig richtige Reaktion auf die Katastrophe sein muss. Würde die Welt, wie sie heute funktioniert, gestürzt, müssten sich die Menschen total neu orientieren. Und das will offensichtlich niemand. Also wird an den Details herumgeschliffen, was dazu führt, dass die Sachlagen komplexer nicht sein könnten. Recht und Unrecht liegen nahe beieinander und sind je nach Gesetzesgrundlage und deren Auslegung zu unterscheiden. Zwar wird für Gerechtigkeit plädiert, doch gerecht ist heute fast nichts in der Welt. Heute wird offen über die atmosphärische Veränderung diskutiert und es kann festgestellt werden, dass die Gesellschaften ausser Stande sind zu reagieren. Zwar ist Energiesparen und Energieeffizienz heute gross geschrieben, doch die Bedürfnisse jedes Einzelnen zählen mehr. Eine radikale Lösung kann es nicht geben, ausser jemand wäre bereit, auf die Welt, wie sie heute existiert, zu verzichten. Also ist davon auszugehen, dass alles beim alten bleibt, weil niemand bereit ist, grosse Veränderungen in Kauf zu nehmen. Doch auch kleine Veränderungen können Wunder bewirken, das ist nicht abzustreiten, und zu diesen ist man vielleicht etwas mehr bereit.

PS: Der Neue Heutige wird dieses Jahr ein Thema aufgreifen, das jedem irgendwann mal nahe kommt: Der Umgang mit dem Tod. Ich freue mich auf deinen Text und wünsche alles Gute im neuen Jahr.

Januar2006/fs

Das Ding mit dem Tod

Angst, Leiden und das Sterben der Anderen.

Die Angst vor dem Tod

Es gibt Momente im Leben, wo man aus Todesangst zittert. Die Gewalt kommt von aussen, man fühlt sich ausgeliefert. Wenn man merkt, dass das Leben weiter geht, kann man sich daran freuen. Man lebt dann intensiver. Man kann den Tod herausfordern, um die Chemie im Körper zu beeinflussen, sich in Todesnähe begeben, um zu erleben, dass man sich daran freuen kann, überlebt zu haben. Aehnliches machen Soldaten durch, wenn sie in einem vom Krieg beherrschten Gebiet ihren Einsatz zum Besten geben müssen. Der Tod liegt immer irgendwie in der Luft, und fast jede Sekunde ist umso erfreulicher, wenn man selbst noch am Leben ist. Durch eine grosse Phantasie kann man vor Kleinigkeiten angst haben, von einer Ratte oder einer Spinne. Es ist dann sicher auch ein schönes Gefühl, die unmittelbare Bedrohung überstanden zu haben. Und die Freude am Leben wächst.

Das Ableben im höheren Alter hat nichts mehr mit dieser chemischen Veränderung der Gefühle mehr zu tun. Die Auseinandersetzung mit dem Tod wird dann anders sein. Ich möchte mir das lieber nicht vorstellen. Sonst bekomme ich womöglich jetzt schon Angst.

Das Sterben der Anderen

Schwer zu verstehen ist es, wenn ein Freund wegstirbt und man weiss, dass man nie mehr in der Lage sein wird, mit ihm physisch in Kontakt zu treten. Die Verbundenheit zu diesem Menschen endet nicht, jedoch geht man dahin mit einem Freund weniger. Heute ist Esoterik weit verbreitet. Menschen sind in der Lage, mit Verstorbenen zu kommunizieren und dergleichen. Der Tod ist unter diesen Umständen relativ.

Das Leiden

Im höheren Alter fallen immer mehr Krankheiten an, das Augenlicht verschwindet, die Beine tragen einem nicht mehr, die Ohren funktionieren nur halbwegs, der Stuhlgang wird anstrengend, man wird des Schlafs beraubt, hat Schmerzen, wird depressiv und verliert die Lust am Leben.

September2006/fs

Der Tod ist unausweichlich

Bekenntnis zu einer anti-religiösen Sicht der Dinge.

Den Tod thematisieren

Lange habe ich mir Zeit gelassen, um mir Gedanken zum Tod zu machen, zumal der Tod als Thema für Den Neuen Heutigen für das Jahr 2006 festgeschrieben ist.

Es gibt ein paar Gründe, warum mir gerade dieses Thema jetzt so aktuell scheint. Durch den Selbstmord eines Seelenverwandten (ein Selbstmordversuch hatte nicht gereicht) ist mir der Tod Ende letzten Jahres unter die Haut gekrochen. Tief schockiert erhielt ich die Botschaft, dass Philipp D. nicht mehr unter uns weilt. Bittere Pille.

Doch möchte ich jetzt nicht mehr daran denken, nur soviel, ein grosses Talent ist abgezogen. Es tut mir leid.

Der Tod ist auch das, was sich im Forum des Neuen Heutigen abspielt: Kaum eine Seele versucht seine Gedanken zu formulieren, vielleicht liegt es auch nur daran, dass sich niemand traut, ein paar Zeilen an einen Unbekannten zu senden, verstehe schon. Und doch, das Forum Der Neue Heutige hätte zum Ziel, verschiedene Positionen festzuhalten und den Zeitgeist von anderen zu dokumentieren. Aber wie es halt so ist, heute gibt es Foren und Blogs, die viel direkter und vor allem dialogischer funktionieren. - Das Aus für Den Neuen Heutigen? Ich glaube nicht.

Der Tod ist das, was uns allen noch blüht, doch nicht so lange wir am Leben sind. Der Tod ist das Ende. Nach dem Tod kommt nichts mehr. Der Tod ist unwiederruflich. Das ist meine neueste These, die schon von anderen vor mir gedacht wurde, doch ich habe sie nicht einfach nachgedacht, ich bin mir sicher, dass alles andere nur Wehmutstropfen für die Sehnsucht nach dem Ueber-Ich und der Ewigkeit darstellen. Der Gedanke, nach dem Tod sei noch was, ist nur eine Beruhigung und ein Werkzeug für den Einzelnen und die Gesellschaft.

Jeder weiss es, niemand kam zurück und sagte, wie es nach dem Tode sei. Das ist zwar sicher kein Beweis, aber es zeigt schön, wie erfunden das Leben nach dem Tod offensichtlich sein muss. Oder etwa doch nicht?

Das Krasse ist ja, dass die Menschen eine Führung brauchen, so jedenfalls sehen es Gelehrte und Theologen, Christen, Muslime, Juden, und auch die Kommunisten, auch die Kapitalisten, und viele andere. Also, wäre der Mensch vernünftig, würde er, glaube ich, die Mythen und Geschichten von den Alten nicht übernehmen und versuchen das Leben endlich neu zu denken.

Ja, eben, das sollten wir, das Leben neu denken, und vor allem nicht denken, dass man etwas dann im Himmel tut, weil man hier keine Zeit dafür gefunden hat, oder es auf das nächste Leben verschiebt, weil das Eintreffen dieser Versprechen würde mal sagen im Verhältins 1 zu 1'000'000'000'000'000 steht.

Mit diesen Worten überlasse ich dich nun dir allein, du kannst tun was du willst, glaube doch an etwas Besseres, solange es dir dabei gut geht.

April2006/fs

Kritik an die Gesellschaften unserer Welt

Zitate aus "Wie der Bildschirm flimmert" von Frank A. Meyer (Erschienen im Ringier-Jahresbereicht 2005 und in der MZ vom 7. April 2006)

Leider fehlt mir die nötige Uebersicht der Weltverhältnisse. Ich bekomme zwar einiges durch Zeitungen, Bücher und Fernsehsendungen mit, was aber nicht reicht, um Worte zu fassen, die "global" funktionieren.

Vielleicht müsste ich hier, wo ich lebe, mit dieser Kritik beginnen. An den eigenen Karren fahren...

Ich versuch's jetzt mit ein paar Auszügen aus Frank A. Meyers Journalismus-Kritik, die 2005 im Ringier-Jahresbereicht erschienen ist (auch MZ vom 7. April 2006):

"... Der polnische Papst war der erste Medienpapst. Seine Messen überall in der Welt waren Fernsehmessen. Der Pontifex hat die Medien benutzt. Bis ihr Voyeurismus ihn verschlang ..."

"... Journalisten stehen in der Weltgesellschaft neu ganz oben in der Hirarchie..."

"... Und nur, was Journalisten zu beachten belieben, was ihre Aufmerksamkeit erregt, was sie reproduzieren in Bild, Ton und Schrift, nehmen die Menschen wahr, nur das existiert! Dagegen ist im Bewusstsein der Oeffentlichkeit inexistent, was sie zu übersehen belieben, was sie langweit oder das, von dem sie glauben, es finde nicht genügend Zuschauer, Leser oder Hörer. ..."

"...Wir Journalisten bestimmen die Wirklichkeit. Die von uns reproduzierte Wirklichkeit ersetzt die wirkliche Wirklichkeit. In der Wahrnehmung der Menschen, also in ihren Köpfen, schaffen wir die Welt. Gibt es grössere Macht? ..."

"... Eigentlich müsste die Globalsierung des Berufs uns Journalisten zu intellektuellen Kosmopoliten machen: neugieriger denn je; beseelt von der Vielgestaltigkeit der Welt; offen für neues Denken, Fühlen und Handeln; grossherzig im Umgang mit Menschen. Ein frischer Wind müsste durch unser Metier brausen.

Doch die revolutionäre Technik, die uns zu Gebote steht, hat unserem Handwerk keine neue Freiheit beschert. Im Gegenteil: Sie hat uns zu Gefangenen gemacht. Gefesselt vom Bildschirm, gekettet an den Laptop - im Büro, zu Hause und, wenn wir Pendeln, auch noch in der S-Bahn.

Alles ist über das Internet, über Google und Yahoo, in Sekundenschnelle auf den Screen zu zaubern. Die elektronische Verfügbarkeit der Welt verführt uns zum Downloaden der Welt.

Wir globalisierten Journalisten haben verlernt, dass unser Beruf eigentlich ein Laufberuf sein sollte. Die Globalisierung der Medien hat uns zu Stubenhockern gemacht.

So entstehen neue News: durch Nachrichten, die schon vorformuliert sind, bevor der Journalist daraus seinen eigenen Bericht bastelt. So entstehen Storys: durch Geschichten, die schon ein anderer erzählt hat, bevor der Journalist seinen eigenen Text zusammenschustert. So entstehen Porträits von Menschen: durch Informationen, Ondits und Urteile, die als journalistisches Junkfood durchs Netz geistern, bevor ein weiterer Schreiber sie wiederkäut.

Die Kaste der Journalisten lebt vom "Copy" and "Paste", sie kopiert sich fortwährend selbst, seit Jahren schon. Und, wie es aussieht, auch in Zukunft. Wir haben verlernt, fiebernd vor Spannung hinauszugehen und nachzusehen, bevor wir schreiben. Wir haben vergessen, wie es ist, uns begeistert auf Menschen einzulassen, bevor wir über sie herfallen.

Herfallen? Die Distanz zu den Menschen, die unter unsere flinken Finger geraten, macht es leicht, die ewig gleichen und oft falschen Fakten mit Abfälligkeit und Bösartigkeit anzureichern. Wir begegnen diesen Menschen ja nur auf dem Bildschirm. Statt Meister der Beschreibung sind wir Meister der üblen Nachrede.

So verkommt die journalistische Kaste zur geschlossenen Gesellschaft. Wer dazu gehört, will gefallen, schwimmt eifrig im Mainstream, apportiert wie ein dressiertes Hündchen die ewig gleiche Sicht der Welt und der Menschen.

Einst war es politische Macht, welche die Pressefreiheit gefährdete. Später bedrängten parteiische, missionarische und autoritäre Verleger ihre Journalisten. Schliesslich machte die Wirtschaft durch Inseratenboykotte Druck.

Und Heute? Heute besteht die grösste Bedrohung der Medienfreiheit in der Selbstvernetzung der Journalisten. Zur totalen Vernetzung durch das World Wide Web und das Beziehungsgeflecht gesellt sich die zumeist gleiche Herkunft der Journalisten: Mehr und mehr kommen die Berufseinsteiger von der Universität. Das bedeutet: gleichförmige soziale Prägung, Lebenserfahrung, die sich aus Schule und Noten zusammensetzt sowie aus fünf paar Markenjeans, die auf den Bänken diverser Hörsäle durchgescheuert wurden.

Selbstverständlich benötigt der Journalismus universitär gebildete junge Menschen. Doch neigen sie naturgemäss dazu, ähnlich zu denken und zu empfinden. Es fehlt dem Journalismus aber das Denken und Fühlen aus allen Schichten und Kulturen. Es fehlen schreibtalentierte junge Handwerker, kaufmännische Angestellte, junge Menschen ohne Berufsabschluss, es fehlen gebrochene Lebensläufe, gescheiterte Künstler, erfolglose Dichter, Weltenbummler, Abenteurer, sogar Knastbrüder. Es fehlen Autodidakten, die sich von ihrem Streben nach journalistischem Erleben weder durch ein Lizenziat noch durch einen Doktortitel erlöst fühlen.

Die Medien müssten Leben abbilden, das ihre Journalisten mit Haut und Haaren selbst verkörpern. Nicht als Kaste dürfen sich die Journalisten sehen. Sinnlich-libertäre Citoyens sollten sie sein. Und formulieren, wie das Leben schmeckt. Nicht wie der Bildschirm flimmert."

Vielen Dank Herr Frank A. Meyer. Falls Sie sich im Forum des Neuen Heutigen engagieren wollen, wir freuen uns.

April2006/fs

 

 

 

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